Humoreske von Ralph von Rawitz
in: „Indiana Tribüne” vom 19.11.1906
Das Feldartillerie-Regiment lag wieder einmal auf dem Schießplatze wie in jedem Sommer. Weit in der Ferne zurückgeblieben — in der Garnison — waren alle Genüsse des Kulturlebens, und nun hieß es, sich so gut einzurichten, wie es primitive Baracken und Fachwerkhäuschen gestatten. Solche Einsankeit in der Heide hinter dem Wald weckt das Erfindertalent: Jeder sucht sich das Leben so angenehm wie möglich zu machen, und während dieser eine Jalousie für sein Stubenfenster konstruirt, das der Militärfiskus in unverhüllter Schönheit belassen hat, nützt der Andere die Stunden der Langeweile, um seinen Terry oder Pintscher zu dressiren.
Zwei Miester in solchen Dingen waren die Leutnants Holzmann und Förster, und die Konkurrenz steigerte ihre erfinderischen Anlagen mit jedem Tage. Zugleich stellte sich aber auch die Lust ein, den Rivalen zu necken und zu überbieten und dem Spott der Kameraden auszusetzen. So entstand ein Schabernackspiel, an dem sich das ganze Regiment belustigte.
„Ich bin neugierig, wer schließlich den Vogel abschießen wird,” sagte eines Abends, als die Herren im Kasino saßen, Hauptmann Stark zu seinem Nachbar, „ich glaube Holzmann. Was meinen Sie?”
„Ich bin der entgegengesetzten Ansicht und proponire sechs Pullen Sekt auf meinen Favoriten. Was halten Sie dagegen?”
„Natürlich auch sechs Silbergehalste. Und dazu Pfirsich oder sonst ein Gemüse!”
„Famos! Auf Vorschuß können wir immer schon zwei trinken! Ordonnanz, zwei Mousseux und Eis, Eis — denn es ist eine Mordshitze, und wir haben mindestens 25 Grad im Schatten!”
Die Flaschen kamen, das Gespräch ging hin und her, der Abend sank immer tiefer herab, ohne wesentliche Kühlung zu bringen. Niemand wollte sich vom Kasinogärtchcn trennen, wo es einigermaßen erträglich war, um die durchglühten Baracken zur nächtlichen Ruhe aufzusuchen. Nur Leutnant Holzmann war früh verschwunden, aber nach einiger Zeit tauchte er wieder auf, mit zufriedenem Gesicht.”
„Lächle du nur,” dachte Förster, „morgen habe ich für dich eine Sache, einfach erstklassig! Na, du wirst springen, guter Kerl!”
Endlich, als die große Lageruhr elf schlug, brachen die Offiziere auf; mußten sie doch morgen um halb sechs Uhr wieder auf dem Gaul sein. Auch Förster wandelte im Vorgefühl seines morgigen Triumphes nach seinem Stübchen und öffnete die Pforte seines bescheidenen Gemaches, um dann sofort mit einem lauten „Donnerweiter!” zurückzufahren. Gleich darauf hörte man ihn in höchsten Fisteltönen nach seinem Burschen rufen. Die Stubennachbarn stürmten herbei, eine Korona Neugieriger bildete sich um den scheltenden Leutnant, und nun stellte es sich heraus, was das Hilfegeschrei hervorgerufen hatte: das Zimmer des Leutnants war bestens geheizt! Der eiserne Ofen glühte wie ein Kraterschlund, und das Thermometer zeigte zweiundvierzig Grad Réaumur! Ueber dem Bett aber klebte ein großer Zettel mit den freundlichen Worten: „Wünsche angenehme Nachtruhe!”
Förster ließ zunächst ein kleines Lexikon von „Donnerwettern” und „Bomben-Elementen” los; dann aber, einsehend, daß in diesem Bratofen nicht zu schlafen war, wandelte er nach dem Kasino zurück, wo ihm der Oekonom auf dem Billard mit Hilfe von Decken und Kissen eine Art von Ersatz für das Bett improvisirte.
An diesem Abend traumphirte Holzmann, und als vorsichtiger Soldat gab er sofort seinem Burschen Ordre, unter keinen Umständen seinen Gegner in sein eigenes Zimmer hineinzulassen, denn er mußte erwarten, gleiches mit gleichem vergolten zu sehen. Förster aber, ein ebenso schlauer Stratege, beschloß, während er auf seinem Billard schlaflose Stunden verbrachte, den Feind in anderer Richtung anzugreifen. Vor wenigen Tagen war er noch in der Nachbarschaft bei einem Oberförster zu Gast gewesen, der ihm unter anderem gezeigt hatte, wie man Wild von jungen Pflanzungen fern hält: mit Hilfe von Zeuglappen, die in eine stark riechende Flüssigkeit getaucht und an Bäume gebunden sind. Den Namen dieser Flüssigkeit suchte Förster die ganze Nacht, aber erst gegen Morgen fiel es ihm ein „Asa foetida” — richtig, so hieß das Zeug. Am Nachmittag des nächsten Tages, während die Kameraden ausruhten, ritt der erbitterte Leutnant nach dem nächsten Städtchen und hatte dort mit dem Apotheker eine trauliche Zwiesprache, von der er sehr erheitert wiederkam. In der darauf folgenden Nacht aber, als alles schlief, schlich er wie ein Fuchs so leise hinüber nach den Burschenstuben, und dort machte er sich geraume Zeit an einem Paar hoher Reitstiefeln zu schaffen: wenn einer der müden Artilleristen aufgewacht wäre, hätte er den Leutnant Stiefel putzen sehen.
Am Morgen, als die Batterie ausmarschirte, schnüffelte Maior von Eichwald, der Abtheilungskommandeur, nach rechts und nach links.
„Deifelmäßiger Geruch,” sagte er zu Holzmann, seinem Adjutanten, „den ich mir gar nicht erklären kann! Bitte, Holzmann, kommen Sie mal her, riechen Sie mal, bemerken Sie es nicht auch?”
Holzmann hatte es schon lange bemerkt, daß seine eigenen Stiefel diesen penetranten Geruch ausströmten, und sich daher möglichst weit von seinem Vorgesetzten gehalten. Jetzt half ihm nichts, jetzt mußte er an die Seite des Majors.
„Herr Major täuschen sich wohl!”
„Ader Mensch, Holzmann, Adjutant! Es wird ja immer toller mit jeder Sekunde! Riechen Sie noch nichts?”
Dem unglücklichen Leutnant perlten die Schweißtropfen vom Gesicht.
„Zu Befehl — ja — mir ist beinahe so —”
„Natürlich — und wissen Sie, was ich glaube? Ihr Gaul, oder Ihr Sattelzeug oder sonst etwas stinkt so infernalisch! Herr Leutnant Holzmann, ich muß mir von meinem Adjutanten ausbitten, daß er immer wohlriecht, zu Fuß wie zu Pferde, verstanden?”
Holzmann legte stumm die Rechte an den Helm; dann folgte er betrübt seinem Kommandeur, der seinen Gaul herumgeworfen hatte und davongesprengt war, mit den Worten: „Ich bitte heute, da wir Ostwind haben, immer westlich von mir zu bleiben. Westlich denn, Herr Holzmann, Sie duften übel!”
Förster lachte in seinen Vollbart, den. er sich während eines langen Urlaubes angeschont hatte, als er den Rivalen so jämmerlich zerschmettert sah. Und in der Freude seines Herzens trank er an diesem Abend im Kasino doppelt so viel wie sonst. Um dem Gegner so recht seinen Triumph zu zeigen, bat er immer gerade diesen, der oben an der Bowle saß, ihm das leere Glas zu füllen und durch eine Ordonnanz hinüberzuschicken. Das that Holzmann denn auck mit größter Bereitwilligkeit, aber ebenso bereitwillig goß er in jedes Glas Bowle einen Schuß Kognak fin Champagne, dessen Wirkung nicht ausblieb. Schon um neun war Förster der Ansicht, daß die Fenster und Stühle um ihn tanzten, und um halb zehn lag er im tiefsten seligen Schlaf in seinem Bett. Ueber ihn beugte sich aber Holzmann, bewaffnet mit Rasirpinsel und Messer. Der ganze schöne Bart mußte herunter — nein, nicht der ganze. Unten am Halse unterhalb des Kinns,von einem Ohr zum anderen, blieb ein Streifen stehen, den man im Volksmund eine „Mauerfrese” nennt, der älteren Herren sehr würdig steht, zur Uniform aber wenig paßt. Nach gethaner Arbeit zog Holzmann sich zurück und harrte des kommenden Morgens.”
Förster schlief sehr lange und erwachte erst, als ihn sein Bursche am Arm schüttelte mit der Versicherung, daß in zehn Minuten abmarschirt würde. Da fuhr er aus dem Bett, in den Waffenrock und Hose, ohne zur Toilette Zeit zu haben. Stiefel an — Säbel um — Helm auf — und hinaus. Die Batterie hatte sich schon in Marsch gesetzt und, was das Schlimmste war, Major v. Eichwald hielt auf seinem Fuchs daneben und ließ Geschütz an Geschütz bei sich vorüberziehen. Verdammt! Doch zu spät gekommen! Förster setzte sich vorschriftsmäßig in Galopp, parirte kurz vor dem Vorgesetzten und meldete sich:
„Ganz gehorsamst zur Stelle!”
Der Major sah ihn befremdet an.
„Mit wem hab' ich das Vergnügen?”
„Leutnant Förster!”
„Schlagschwerenoth, Mann, wie sehen Sie denn aus? Und was hängt Ihnen denn da überhaupt aus der Halsbinde?”
Förster griff an's Kinn, wo es ihm schon wiederholt so merkwürdig kühl vorgekommen war — der Vollbart war weg. Aber als gewandter Mann faßte er sich sofort:
„Ich habe mich rasiren lassen, Herr Major!”
„So? Sie sich selber? Und was soll diese Frese da unten? Sagen Sie mal, Sie glauben wohl neue Moden hier einführen zu können, wie? 'n richtigen Pelzkragen hat er um! Herr, wir sind hier nicht bei den Südseeinsulanern, sondern stark in Mitteleuropa!” —
Nach diesem Vorfall war Förster vierundzwanzig Stunden nicht zu sehen, aber auch Holzmann verreiste plötzlich auf dieselbe Zeit nach unbekannten Gefilden, um, wie boshafte Kameraden versicherten, „in guten Geruch zu kommen.” Andere aber sagten, der ganze Verlauf sei durchaus normal gewesen, denn es sei ganz selbstverständlich für Artilleristen, daß zum Schlüsse „die Bombe platzt!”
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